humanitäre Hilfe
Calais
Im Einsatz: Januar 2025
An Land warten hunderte, manchmal tausende Flüchtlinge in illegalen Camps auf ihre Schlepper. Sie übernachten in Zelten, unter Planen oder im Freien. Diesen Januar erlebe ich einen besonders kalten Winter – die eisige Kälte dringt bis ins Mark. Die Flüchtlinge besitzen kaum etwas; ihr Hab und Gut passt in einen kleinen Rucksack oder eine Tasche. Fast täglich räumt die Polizei diese Camps mit teils gewaltsamen Mitteln und vertreibt die Menschen in alle Richtungen. Die französische Politik scheint darauf abzuzielen, den Flüchtlingen das Leben so unangenehm wie möglich zu machen – vermutlich in der Hoffnung, dass sich die desaströsen Lebensbedingungen herumsprechen und andere abschrecken. Dennoch versuchen jährlich Tausende ihr Glück und wagen die gefährliche Überfahrt.
Ich arbeite hier im Auftrag des Hilfswerks "FAST". Wir sind Ärzte, Rettungssanitäter und Pflegepersonal, die unentgeltlich täglich bis zu 100 Patient*innen versorgen – mit einfachsten Mitteln. Derzeit leiden viele unter Atemwegsinfektionen. Wir behandeln Wunden, dermatologische Erkrankungen. Häufig leiden die Flüchtlinge unter muskuloskelettalen Schmerzen, die meist auf Traumata oder schlecht behandelte Verletzungen aus der Vergangenheit zurückzuführen sind. Oder wir überweisen schwer erkrankte Menschen an lokale Krankenhäuser.
Die Flüchtlinge leben meist versteckt in kleinen Waldstücken oder auf unbebauten Flächen – klassisches "Niemandsland". Offizielle Camps gibt es nicht, da sie unerwünscht sind. Doch wir wissen, wo wir sie finden können. Gemeinsam mit befreundeten Hilfsorganisationen fahren wir in diese Gebiete, stellen uns auf und warten. Schnell spricht es sich über soziale Medien herum, dass wir bereitstehen. Innerhalb von 30 Minuten bilden sich lange Schlangen: Menschen kommen für neue Schuhe, einen Kaffee oder medizinische Hilfe. Große Dieselaggregate liefern den Strom für ihre Handys – ihre wichtigsten Werkzeuge auf dem Weg ins Zielland. Alles wird digital geregelt: die Kommunikation mit den Schleppern und sogar die Orientierung auf See.
Wir verteilen Kondome, um Handys vor Feuchtigkeit zu schützen – ein lebenswichtiger Schutz für die gefährliche Reise. Ein Flüchtling fragt mich nach Handwärmern für die kalte Nacht und erzählt mir von seinem Plan zur Überfahrt. Ich hoffe so sehr für ihn, dass er Erfolg haben wird. Täglich veröffentlicht die britische Regierung Statistiken zu den "Channel Crossings", fast wie Börsenkurse. Wie sehr wünsche ich ihm, dass er morgen auf der positiven Seite dieser Statistik stehen wird.
Unsere Mission führt uns in die Camps, weit verstreut in der Umgebung. Jedes Camp ist nach der Herkunft der Migranten organisiert: dort das der afghanischen Flüchtlinge, hier das der Menschen aus dem Sudan. Die Camps bestehen meist aus 5 bis 15 Zelten oder notdürftig errichteten Behausungen. Sie liegen versteckt tief im Dickicht, jedoch oft in unmittelbarer Nähe zur Zivilisation. Die Camps gleichen Müllhalden, durchzogen von morastigen Wegen, die zu den Zelten führen. In der Mitte befindet sich häufig eine Feuerstelle, überspannt von einer Plane. Das benötigte Holz wird von lokalen Handwerkern geliefert – Abfallprodukte, die hier für die dringend benötigte Wärme sorgen. Eng zusammengekauert sitzen die Menschen um das Feuer. Jetzt, im Januar, ist es eisig kalt und feucht. Der Nebel kriecht durch alle Ritzen.
Wir alle arbeiten hier ehrenamtlich. Sogar, um helfen zu können, investieren wir selbst. Die Kosten für Anreise, Übernachtung und Verpflegung tragen wir aus eigener Tasche. Ein Mittagessen wird für uns gekocht – das Budget dafür beträgt 1 € pro Person. Trotzdem schmecken die Suppen köstlich. Das Material und die Medikamente, die wir einsetzen, stammen ausschließlich aus Spenden.
Quellen
Die Organisation F.A.S.T ist auf deine Spende angewiesen.
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